Veröffentlicht in Du ju spiek Inglish?, Möchtegern-Psychologin, Pädagogik, Schulalltag, Siebtklässler

Es gibt sie doch!

Heute hat mich ein etwas älterer Beitrag der großartigen Frau Freitag dazu gebracht, mal über meine netten Schüler nachzudenken. Oft, so sagt Frau Freitag und ich gebe ihr Recht, beschäftigt man sich fast ausschließlich mit den Störern, mit den Schülern, die einem Kopfzerbrechen bereiten. Dabei sind in jeder Klasse doch auch liebe Kinder. Solche, die meist das machen, was man möchte und das auf eine nicht-penetrante Art und Weise. Solche, die mitdenken und dem Lehrer gegenüber hilfsbereit sind (merke: schleimen ist nicht gleich hilfsbereit sein). Solche, die höflich und pünktlich sind. Die fallen gegenüber den „Störern“, wie ich sie an dieser Stelle mal völlig übergeneralisiert nenne, deutlich weniger ins Gewicht, dabei gestalten sie den Schulalltag doch auch mit.

Nehmen wir doch mal meine künftige 8. Klasse. 20 Schüler, einer anders als der andere aber grundsätzlich alle vollkommen in Ordnung. Mit keinem hatte ich bisher große disziplinarische Schwierigkeiten, aber zwischendurch kriselt es eben doch einmal. An diese Schüler denke ich automatisch, wenn ich von meiner Klasse spreche. Dann sind da aber noch andere:

Der etwas ältere Junge, der nicht nur mein absoluter Leistungsträger in Englisch ist, sondern der auch immer pünktlich ist und sein Material dabeihat. Der im Unterricht oft Sprüche klopft, woraufhin ich meist lachend am Boden liege. Der allein in seiner Art so witzig ist, dass ich seine Wortmeldungen selten ohne Grinsen überstehe. Der einen tollen Humor hat, welcher in keiner Weise verletzend, sondern nur auf-den-Arm-nehmend ist. Der mir eine selbst geschriebene Strophe zu einem vorhandenen Song vorsang, anstatt ihn nur vorzulesen. (Randnotiz: für musikalische Momente bin ich absolut immer zu haben) Der innerhalb einer Stunde den besten Werbespot zu einem selbstgewählten Produkt erstellte und mit dem Video aufnahm, den ich je in so einer Zeitspanne gesehen habe. Der so ziemlich als einziger die Aufgaben in der Englischarbeit liest und daher weiß, dass sie ganze Sätze schreiben sollen und nicht nur Stichpunkte hinhudeln.

Das Mädchen, das Tränen in den Augen hatte, als ich ihr verkünden konnte, dass sie es in diesem Jahr auf eine Hauptschuleins geschafft hat. Das mich schon Mitte des Schuljahres fragte, wie wahrscheinlich es sei, dass sie mich im kommenden Jahr behalten, und danach in regelmäßigen Abständen wieder nachhakte. Das sich riesig gefreut hat, als ich am letzten Schultag verkünden durfte, dass ich die neue Klassenlehrerin bin. Das sich anerkennend, aber im Zweifelsfall auch (konstruktiv!) kritisch zu meiner Frisurenwahl äußert. Das zuverlässig den Austeil- und Einsammeldienst erledigt und mich darauf hinweist, wenn ich es mal wieder vercheckt habe, im Klassenbuch eine Eintragung vorzunehmen. (Was natürlich fast nie vorkam, ups.)

Der Junge, der in einer wirklich schwierigen Familie mit einer sehr unkooperativen Mutter aufwächst und früher anscheinend prügelnd durch die Schule gelaufen ist. Der mir erzählt, wenn sein kleiner Bruder einen Tag aufgrund seiner Krankheit nicht in die Schule kommt, weil ich in der Klasse Co-Klassenlehrerin war. Der mit in der Abenteuerherberge war, um besagten Bruder zu beaufsichtigen, und die halbe Zeit damit verbrachte, sich mit mir zu unterhalten und über Schule zu lästern. Der immer den PC und Beamer sofort anschaltet, wenn ich etwas von „Präsentationen“ oder „Video“ sage. Der auch daran denkt, dass das Licht angeschaltet werden muss, wenn das Video vorbei ist und Frau Amhranai etwas an der Tafel notiert (was ich mitunter beim Modulbesuch im tiefsten Winter morgens um 8 vergessen habe, so dass es sehr düster in der Klasse blieb). Der ACDC und Led Zeppelin hört. Der so stolz darauf ist, dass er in der Fremdsprache gut ist, wo er doch in Deutsch schlechte Noten erzielt. Der sich durchs Leben schlägt, auch wenn er von vielen nicht so akzeptiert wird.

Das sind nur drei meiner Großen, die ich schon jetzt liebevoll als „meine“ bezeichne. Und dann gibt es da noch 17 andere Schüler, die auch alle tolle Züge haben. Bevor das Schuljahr losgeht, werde ich mich in jedem Fall noch einmal hinsetzen, und auch über sie nachdenken. Denn alle Schüler sind besonders – man muss das Besondere nur herauskitzeln.

Werbung
Veröffentlicht in Deutsche Sprache - schwere Sprache, Du ju spiek Inglish?, Möchtegern-Psychologin, Pädagogik, Schulalltag, Siebtklässler, Zweitklässler

Fast geschafft!

Kennt ihr das, wenn Schüler sich kurz vor den Weihnachtsferien von der Besinnlichkeit der Adventstage anstecken lassen und sich während der Unterrichtsstunden stiller als sonst verhalten? ……ich auch nicht.

Obwohl ich in den letzten Jahren schon als Langzeit-Praktikantin einen guten Einblick in das Chaos erhalten habe, das ab Anfang Dezember in den Klassenzimmern herrscht, so ist es doch nochmal ein ganz anderer Schnack, dieses Chaos im Alleingang unter Kontrolle zu halten. Die letzten Tage waren, gelinde gesagt, anstrengend und ich freue mich sehr, dass morgen nach den Stufenversammlungen und einer Klassenlehrerstunde für den Rest des Jahres 2015 Feierabend ist. Nach einem fantastischen Weihnachtskonzert gestern Abend (welchem der Schulleiter als Frontmann einer der Bands die Krone aufgesetzt hat) steht nun nur noch das Gewusel auf dem Programm, das sich da Jahresabschluss schimpft.

Meine Kleinen hatten heute das Glück, in drei gemütlichen Frühstücksstunden bereits die Ferienzeit ein bisschen einzuläuten. Leider kam ich erst zur letzten dieser Stunden dazu, da ich vorher Unterricht in meiner Siebten hatte (die tatsächlich die erste Hälfte der Zeit ruhig waren. Allerdings war daran die Lustlosigkeit schuld, nicht die Besinnlichkeit). Aber immerhin bekam ich noch selbstgemachte Waffeln ab, und wurde zudem aufs Allerherzlichste begrüßt. Dieser Moment, wenn ich durch die Klassenzimmertür trete und mir 28mal mein Name entgegenschallt, gepaart mit lächelnden Gesichtern und blitzenden Augen ist einer, von dem ich nie genug bekomme.

Bescheiden, wie ich nun einmal bin, würde ich behaupten, dass mich die Süßen ziemlich gut leiden können, und das beruht definitiv auf Gegenseitigkeit. Wenn es ein Leben nach dem Ref gibt (was ich momentan noch für ein Gerücht halte 😉 ), würde ich es gerne an dieser Schule verbringen, zumindest für eine gewisse Zeit. Aber bis dahin kann auch noch viel passieren. Ich freue mich wirklich über jeden Tag, den ich mit den Kleinen und Großen verbringen kann. Ehrlich. Zwar sagte meine eine Mitbewohnerin gerade heute zu mir: „Also irgendwie antwortest du nie, dass alles richtig gut gelaufen ist, wenn ich dich mittags sehe und frage, wie es in der Schule war. Du sagst immer nur, dass es mittelmäßig war.“, aber das hat ja nur bedingt mit den Kindern zu tun. (Ich gestehe: momentan etwas mehr als sonst. Weihnachtszeit eben. 😉 ) Dringend notwendige Kommunikationssituationen kommen nicht zustande, Eltern stellen unrealistische Ansprüche, das Wetter ist mies, die Gesundheit spielt nicht mit…die Liste ist lang. Am Ende des Tages geht es jedoch darum, sich auf die Kinder einzulassen und sie alle ins Herz zu schließen.

Natürlich gibt es Konflikte mit Einzelnen. Konstant aufmüpfige und aufmerksamkeitseinfordernde Schüler. Streitigkeiten. Lautstarke Auseinandersetzungen. (Einwurf zwischendurch: meine Mentorin informierte mich gerade heute darüber, dass ich manchmal im Unterricht nicht-vollständige Sätze von mir gebe. Jetzt weiß ich, was sie damit meint. 😉 ) Aber, wie mir eine Freundin vor Jahren schrieb, als ich eine sehr unschöne Situation mit einem Schüler hinter mir hatte und nicht wusste, wo mir der Kopf stand: Zu 100% können sie irgendwie nix dafür. Und so ist es auch. Diese Kinder sind nicht bösartig, sie haben alle schon ihr Päckchen zu schleppen. Und die Umstände pressen sie in die Hülle, die uns gegenübersitzt. Unser Job ist es, den guten Kern dahinter zu entdecken.

Veröffentlicht in Deutsche Sprache - schwere Sprache, Pädagogik, Schulalltag, Zweitklässler

So schön still wie heute…..

…ist es sonst nur, wenn kein Kind im Klassenraum ist.

Bei meinen Kleinen (zweite Klasse) habe ich heute eine neue Methode des Aufräumens ausprobiert. Bisher war das eher ein Gewusele von Beinen, Armen und Köpfen, von „Auaaaa“s, „Pass doch auf“s und „mein Buch lag da zuerst“s. Es mag vielleicht überraschend sein, aber mich nervt das bereits seit geraumer Zeit 😉 da auch insgesamt die Lautstärke während dieser Phase mitunter selten unter der eines startenden Flugzeugs liegt, startete nun heute mein Experiment „Leise die Sachen wegräumen“. Wetten wurden abgeschlossen, Chancen wurden berechnet, Daumen wurden gedrückt und Popcorn wurde bereitgestellt. Dann ging es los.

„Jedes Kind legt seinen Kopf auf den Tisch und schließt die Augen für einige Momente“ beginne ich. „Der Tisch, den ich aufrufe schleicht auf Zehenspitzen zum Regal und stellt seine Einstern-Hefte ordentlich in seinen Schuber“. Kurze Verwirrung. Das Wort ordentlich ist auch nach 1,5 Jahren Schule für fast alle noch immer ein Fremdwort, dessen Bedeutung nicht erschlossen werden kann. Auch über die Wortfamilie kommen wir nicht weiter, da Ordnung dieselben Schwierigkeiten birgt. Erfolgreich bestimmen wir die Silben und Silbenkerne des Wortes, machen einen kurzen Exkurs zu „Was Frau Amhranai unter ‚ordentlich‘ versteht“, und dann kann es auch schon mit den Anweisungen weitergehen.

„Ihr hört einmal ganz genau hin, ob ihr den Tisch, der gerade dran ist, bei seinen Bewegungen ertappen könnt. Versucht, so leise zu sein dass die anderen gar nicht hören, dass ihr unterwegs seid und etwas wegpackt.“ Die Kinder nicken mit glänzenden Augen. Leiser als die anderen Schüler sein? Der leiseste Tisch von allen jemals dagewesenen Tischen? Challenge accepted!

Ich schicke den Bananen-Tisch los, nachdem ich – wie ein Fuchs, der ich zweifellos bin – unauffällig bei den Kindern nachgefragt habe, welche Obstsorte ihrem Tisch im September zugeteilt wurde. Das ist schließlich schon ewig her… Meine damalige Mentorin schlug zu dieser Zeit vor, dass ich die Tische nicht mehr mit „der Tisch von Leon 1“, „der Tisch von Leon 2“ uswusf benenne, sondern mir eine motivierendere Ansprache überlege. Das tat ich, und hatte nach einem Tag meine Obstklasse. Wir haben den Apfel, die Birne, die Banane, die Kirsche und den Obstkorb. Diese Einteilung eignet sich im Übrigen hervorragend für die Bildung eines Sitzkreises! Einfach die gewünschte Obstsorte als stillen Impuls an die Tafel malen/kritzeln/skizzieren, und die Kinder fühlen sich angesprochen. Klappt! Vorausgesetzt, dass die Kids auch zur Tafel schauen und nicht gerade intensiv das hervorgepulte Innenleben ihrer Nase betrachten, ihren Nachbarn entlausen oder ein Sekundenschläfchen machen. Aber ich schweife ab.

Der Bananen-Tisch schleicht los, und man könnte tatsächlich eine Stecknadel fallen hören. Alle nicht-aktiven Kinder haben das Gesicht vor Anstrengung verzerrt, weil sie ihre Mitschüler unbedingt beim Lärmen ertappen wollen. Aber sie haben keine Chance. Die Bananen sind super und nach wenigen Momenten mit stolzgeschwellter Brust wieder an ihrem Platz. Ob die Äpfel das nachmachen können? Ich bin gespannt, wenngleich noch ein wenig skeptisch. Der erste Apfel stolpert kurz über seinen taktisch klug mitten im Weg platzierten Schulranzen, fängt sich aber und eilt auf leisen Socken seinen Mitäpfeln hinterher, die sich angestrengt das Kichern verkneifen. So langsam breitet sich auch auf meinem Gesicht ein breites Lächeln aus. 2 Minuten – so lange war diese Klasse noch nie still! Und außerdem werden die Hefte auch wirklich ordentlich weggepackt. Ich bin zutiefst entzückt, und das ändert sich auch bei den letzten 3 Gruppentischen nicht. Danach gibt es ein großes Lob von mir an meinen Obstsalat, und auch die Tische beglückwünschen sich gegenseitig. Hach, war das schön.

Eben in der Besprechungsstunde nimmt meine neue Mentorin (die ich erst seit einer Woche habe, aber mit der ich sehr glücklich bin) mir ein wenig den Wind aus den Segeln: „Ich will dir das ja eigentlich gar nicht sagen, aber solche Dinge funktionieren manchmal nur am Anfang und dann irgendwann nicht mehr.“ Lalala, ich kann dich nicht hören…….! Es ist zu laut hier! 😉

P.S.: Das sollte sich von selbst verstehen, aber Schülernamen sind selbstmurmelnd verfälscht. 🙂